Liebe Vertreterinnen und Vertreter der Landespresse,
wer aus der Wirtschaft in die baden-württembergischen Schulen schaut, möchte seinen Augen kaum trauen: Trotz maximaler Anstrengungen innerhalb der Schulgemeinschaften geht es selbst angesichts einer möglichen zweiten Corona-Infektionsphase mit der Digitalisierung nur mühsam voran.
Statt offizieller Konzepte und landesweiter Unterstützungsangebote beherrschen das Pflichtgefühl, der Enthusiasmus und die Bereitschaft zur Selbstausbeutung das Bild. Denn viele Lehrer:innen sorgen in enormer Eigeninitiative und häufig in einer dienstrechtlichen Grauzone zum Wohle ihrer Schüler:innen dafür, dass die oft begrenzten Möglichkeiten für digitales Arbeiten weitgehend ausgeschöpft werden.
Des Kaisers neue Kleider
Mittlerweile ist klar, dass die Schulen im Land nicht nur für die Herausforderungen der Schule@Corona, sondern insgesamt für eine zunehmend digitalisierte Welt außerordentlich schlecht aufgestellt sind. Trotzdem ergeht sich die Kultusministerin weiter in vollmundigen Ankündigungen – und wälzt die Verantwortung für die verschleppte Digitalisierung der baden-württembergischen Schulen schnell auf andere ab.
Für die Kultusministerin ist die Digitalisierung der Schulen eine Abfolge von Aufgaben und Zuständigkeiten, für die andere zuständig sind. Doch die Abfrage der Digitalisierungs-Initiative der fünf zukunftsorientierten schulischen Verbände BLV, GEW, GS-Verband, VBW sowie GMS-Verein zeichnet ein anderes Bild: Die Schwachstellen der baden-württembergischen Schulwelt bei digitalem Arbeiten sowie in der Schule@Home als auch im Präsenzbetrieb sind vielfältig – und erschreckend. Und sie liegen mitten im Hoheitsgebiet der Kultusministerin.
Mit „Leitlinien und Qualitätskriterien für den Fernlernunterricht“, wie sie Kultusministerin Eisenmann wenige Tage vor den Sommerferien an die Schulen verteilt hat, ist es nicht getan. Denn der Forderungskatalog bleibt eine zentrale Antwort schuldig: nämlich wie die Schulen den vollmundigen Versprechungen, die vornehmlich Eltern und damit Wählerinnen und Wähler adressieren, gerecht werden können. Wenn über 95 Prozent der an der Abfrage beteiligten Schulen E-Mail als das zentrale Kommunikationstool in der Schule@Home benennen und knapp 45 Prozent Messengerdienste als Teil ihres Fernlernkonzepts einsetzen, aber Lehrer:innen in Baden-Württemberg über keine offizielle dienstliche E-Mail Adresse verfügen und der angebotene Messenger-Dienst der Kultusministerin nur die Kommunikation der Lehrer:innen untereinander ermöglicht, ist eigentlich alles gesagt.
Die dringlichsten Handlungsfelder für das Kultusministerium lassen sich aus der Abfrage unter Beteiligung von über 2.000 Schulen im Südwesten eindeutig umreißen:
Es liegt in der Verantwortung der Kultusministerin und ihres Verwaltungsapparats, die schulischen Akteure zu befähigen, Lehren, Lernen und Schule zeitgemäß zu denken und zu leben. Denn: Schule im 21. Jahrhundert bedeutet, dass essenzielle Skills wie Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken schon in der Schule vermittelt und geübt werden.
Statt sich in Allgemeinplätzen zu ergehen, muss die Kultusministerin endlich ihre Hausaufgaben erledigen und dabei folgende Fragen überzeugend beantworten:
Auf die Antworten sind wir gespannt - sie zeitnah und seriös zu entwickeln, gehört zur Kernkompetenz einer Politikerin mit Ambitionen auf höchste Ämter.