Lerne Klagen ohne zu Leiden

  • Matthias Wagner-Uhl
  • NETZWERK WISSENSCHAFT

Lerne Klagen ohne zu Leiden

Lerne Klagen ohne zu Leiden

Mit den politischen Ambitionen der Kultusministerin rückt das Thema Bildung wieder stärker in den Fokus. Die Kür des absurden Treibens übt nun der Philologenverband: Für eine vergleichsweise komfortabel ausgestattete Schulart mit klaren Selektionsmechanismen bei Aufgabenportfolio und Schülerschaft fordert dieser nun für die Gymnasien im Land weitere Verbesserungen, die alle anderen Schulformen ausschließlich als offene Brüskierung verstehen können.

„Dass sich die Gymnasien im Land schon immer als geschlossene Gesellschaft verstehen, wird bei jeder Verlautbarung ihrer Lobbyisten sichtbar – wie hoch der Elfenbeinturm an dieser Stelle tatsächlich ist, zeigt sich nun in voller Größe“, gießt Matthias Wagner-Uhl, Vorsitzender des Vereins für Gemeinschaftsschulen in BW e.V., seine Empörung über die aktuelle Forderung nach „Sofortmaßnahmen“ für die Gymnasien im Südwesten in vergleichsweise höfliche Worte.

Gerade in Zeiten sich leerender Kassen und der Herausforderung, das Land auf einen fundamentalen wirtschaftlichen Umbruch adäquat vorzubereiten, gehe es darum, die verfügbaren Ressourcen im Bildungssektor möglichst wirksam und für viele Menschen nutzenstiftend einzusetzen: „Klug handelnde  Bildungsnationen investieren dort, wo der Bedarf groß ist, um möglichst alle Gesellschaftsmitglieder mit zu nehmen und faire Lebenschancen zu ermöglichen“, mahnt Wagner-Uhl. Die Gymnasialvertreter hingegen zeigen erneut, dass sie sich selbst genug und ihnen der Blick über den Tellerrand schon zu hoch ist.

Wie hypnotisiert starren Politik und Bildungsbürgertum dieser Tage auf das allgemeinbildende Gymnasium, welches in vielerlei Hinsicht längst aus der Zeit gefallen ist. Dabei stehen rund 301.000 Schülerinnen und Schülern dieser Bildungsanstalten über 800.000 junge Menschen gegenüber, die andere Schulformen besuchen (vgl. Stat. Landesamt, Schuljahr 2017/18). „Die Gymnasialvertreter handeln in gewohnter Manier blind, borniert und völlig egoistisch - sie nehmen bewusst in Kauf, dass Kinder und Jugendliche an anderen Schularten so die notwendige Forderung und Förderung versagt wird. Manche würden dadurch komplett abgehängt“, reklamiert der Gemeinschaftsschul-Vertreter. ‚Wer hat, dem wird gegeben‘, laute an dieser Stelle das Motto des Philologenverbands. Zu einem hohen Preis: Die von konservativen Teilen der Landesregierung ebenfalls forcierte gesellschaftliche Spaltung nehmen die kurzsichtigen Lobbyisten in Kauf und treiben sie ohne Zögern weiter voran.

Auf der Sachebene wird es schwierig, ihr Postulat zu unterfüttern: Inklusion ist in baden-württembergischen Gymnasien quasi non-existent, Medienbildung und Digitalisierung finden bestenfalls punktuell und dann von einzelnen Enthusiasten getrieben statt. „Dass die Philologen gesellschaftliche Herkulesaufgaben wie Inklusion, Integration oder Ganztag erst gar nicht in den Mund nehmen, kann kaum überraschen“, sagt Wagner-Uhl: Statt Diversität gelingend zu gestalten, machen es sich viele Gymnasien leicht und setzen auf Segregation und Abschulung.

Zum Ärger vieler: „Diese Schulart hat seit Jahren, ja Jahrzehnten in der Breite keinerlei pädagogische Innovationen vorzuweisen, es wurden keine ernsthaften Reformen gestemmt“, rügt Wagner-Uhl. Zugleich leisten sich diese Schulen vergleichsweise kostenintensive und umfangreiche Leitungsstrukturen. GymnasiallehrerInnen unterrichten nahezu ausschließlich ihre originär studierten Fächer – oft jahrzehntelang in den gleichen Schulstufen. Über Unterrichtsrecycling als Energiesparmodus wird immer wieder berichtet. Bei der Vertretungsleistung kann ebenfalls keine zusätzliche Belastung der Kollegien nachgewiesen werden: Mit lediglich 48 Prozent vertretenem Unterricht bei Abwesenheit bilden die Allgemeinbildenden Gymnasien hier das absolute Schlusslicht in Baden-Württemberg.

Eine nüchterne Bilanz - die nur einen Schluss zulässt: „Solange diese Schulart ihr Biotop kultiviert und sich den Herausforderungen unserer modernen Gesellschaft verweigert, verbietet sich jede Diskussion um eine weitere Ressourcenversorgung“, fordert Wagner-Uhl: „Statt auf höchstem Niveau zu klagen ohne auch nur im Ansatz zu leiden, sollte sich das Gymnasium an den organisatorischen und pädagogischen Innovationen der Gemeinschaftsschule orientieren, um seine üppigen Ressourcen besser zu nutzen.“

Als Schule der Zukunft leisten die über 300 Gemeinschaftsschulen im Land bei einem umfassenden und gesellschaftlich hoch-relevanten Aufgabenportfolio mit vergleichsweise bescheidenen Ressourcen Sensationelles, indem sie Bildungsaufstieg ermöglichen und ihre Schülerinnen und Schüler mit Weitblick und Sachverstand auf die Zukunft vorbereiten.

Für weitere Fragen zu diesem Themenfeld stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung!

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