Im Hickhack um den Betrieb der Schule@Corona bleiben die wichtigsten Akteure des Geschehens außen vor: Schülerinnen und Schüler fühlen sich von den Verantwortlichen in der Politik im Stich gelassen. Während die Öffentlichkeit von verlängerten Ferien spricht, müssen die Lernenden und Lehrenden in den Schulen mit Notendruck und Klassenarbeitswahnsinn zurechtkommen.
Die Schülerinnen und Schüler sind wie viele andere Schulbeteiligten im Land sauer: „Man hatte zehn Monate Zeit, vernünftige Konzepte zu erstellen und hat stoisch die Augen vor den notwendigen Schritten verschlossen, jetzt wird kurz vor den Ferien halbherzig auf Druck des Ministerpräsidenten ein Fernlernbetrieb verordnet, den keiner offiziell vorbereiten durfte“, fasst Raphael Fröhlich, Sprecher des Netzwerks Schüler:innen im Verein für Gemeinschaftsschulen Baden-Württemberg e.V. die Stimmung in der Schüler:innenschaft zusammen.
Statt sich auf mehr Ferientage zu freuen, müssen sich die Betroffenen erst durch einen Berg an Klassenarbeiten und hastig vorgezogene Leistungsnachweise kämpfen. „Es ist ein Wahnsinn – man hat den Eindruck, dass diejenigen, die in der Schulverwaltung diese ganzen Vorgaben machen, keine Ahnung von den realen Abläufen in der Schule haben“, sagt der 17-Jährige. Wie an einer Perlenschnur reihen sich bereits seit Wochen Klassenarbeiten, Präsentationen und Tests aneinander. Für Schüler:innen ist das in der Zeit vor Weihnachten an sich nichts Neues. Doch mit der ohne vernünftigen Vorlauf verkündeten Schließung der Schulhäuser und einer großen Unsicherheit, wie es im Januar mit der Schule@Corona überhaupt weitergehen wird, hat sich der Noten-Stress für Lehrer:innen und Schüler:innen vervielfacht: „Zu der Sorge vor schlechten Noten oder einer fehlenden Grundlage, um als Lehrer:in Noten zu machen, kommt die Angst, sich unter diesen unsäglichen Bedingungen in der Schule oder auf dem Weg dorthin anzustecken und das Virus Zuhause einzuschleppen“, berichtet Fröhlich. Noch immer sind die Busse im Land vollgestopft wie eine Sardinenbüchse. Trotz zahlreicher Reklamationen von Schüler:innen-Seite hat sich daran auch Monate später kaum etwas verbessert.
„Es ist ja irgendwie klar, dass alle versuchen, ihre Noten noch unter Dach und Fach zu bringen. Letztlich ist das eine Pervertierung des Leistungssystems. Genau deshalb braucht es eine klare Ansage aus dem Kultusministerium, wie das in diesem Schuljahr laufen soll“, fordert der Netzwerksprecher. Im letzten Schuljahr habe man gesehen, dass es diesbezüglich durchaus Spielraum gibt. Dass die Verantwortlichen in der Politik so tun, als sei die Situation jetzt exakt vergleichbar mit dem vergangenen Schuljahr, macht Raphael Fröhlich wütend: „Im Frühjahr gab es eine fast reguläre Vorbereitungszeit bis zu den Abschlussprüfungen, wir dagegen haben mittlerweile 40 Wochen Corona-Schule auf dem Buckel – und da ist überhaupt nichts so wie vor der Pandemie“. Die Begrifflichkeit des „Regelbetriebs unter Pandemiebedingungen“ ist für die vernetzten Schüler:innen ein einziger Affront. Nicht zuletzt fehlen Lehrer:innen und es fällt immer wieder Unterricht aus.
Schon seit Wochen erlebt der Oberstufenschüler, wie viel Druck nicht nur auf seinen Klassenkamerad:innen, sondern auch auf den Lehrer:innen lastet: „Die Vorgaben aus dem Kultusministerium müssen eingehalten werden, koste es, was es wolle“, so seine Erfahrung, die Spielräume sind gerade in den Abschlussklassen gering. „Da kommen auch Lehrer:innen, die verstehen, dass wir nicht nur Lern-Maschinen sind, sondern vielseitig interessierte Menschen mit Sorgen, Ängsten und Nöten, an ihre Grenzen – es ist kaum Zeit, etwas anderes zu machen, als ausschließlich den Stoff reinzuschaufeln“, berichtet Fröhlich. Und die Perspektive ist düster: Eine weitere Anpassung von Leistungserwartungen, sowohl für die einzelnen Jahrgangsstufen, als auch für die kommenden Prüfungsdurchläufe ist bisher nicht in Sicht. Die vermeintliche Sorge der Kultusministerin um das Wohlergehen der Schülerinnen und Schüler und die Bildungsgerechtigkeit im Land empfinden die Beteiligten des Netzwerks als blanken Hohn.
Zahllose didaktische Formate und zeitgemäße Lernsettings sind schon vor Monaten der Pandemie zum Opfer gefallen. Lerngruppen, Arbeitsgemeinschaften und Projektteams haben angesichts der Corona-Bestimmungen keine Chance, die Zeichen stehen auf Frontalunterricht. „Es macht den Eindruck, dass die Kultusministerin immer mehr genau die Schule bekommt, die sie und ihre rückwärtsgewandten Parteikollegen so propagieren“, mahnt Fröhlich, „mit der Welt, die draußen auf uns wartet hat das allerdings nur wenig zu tun“.
Für die Schüler:innen im Gemeinschaftsschul-Netzwerk ist klar, dass nicht nur sie teilweise dicke Arbeitspakete mit in die Ferien nehmen: „Wir erwarten, dass die Kultusministerin mit ihrer Truppe über die Ferien endlich ihren Job macht und ein vernünftiges Konzept für die Zeit im Januar vorlegt“. Das Gerede von einer Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts direkt nach den Ferien sorgt unter den Schüler:innen für Beunruhigung. Selbstverständlich sei das Schulhaus zugleich ein sozialer Raum, der für die Schüler:innen einen wichtigen Lebensteil darstelle, so der Netzwerk-Sprecher. Genau deshalb verstehen Fröhlich und seine Mitstreiter:innen auch nicht, dass dieser Ort des Schul-Lebens nicht bereits seit Monaten mit einem sinnvollen Wechselbetrieb geschützt wird, so wie es das Robert Koch-Institut als oberste deutsche Bundesbehörde für Infektionskrankheiten in seinen Empfehlungen vorsieht.
Und auch für anderes haben die jungen Leute kein Verständnis. Dazu Fröhlich: „Dass seit Monaten vollmundig über technisches Equipment und eine 1:1-Ausstattung der Schüler:innen gesprochen wird, da jede Menge Geld rausgehauen wird und zugleich jeder Vorstoß für Hybrid-, Fern- oder Wechsellernen eine Abfuhr der Kultusministerin bekommt, ist ja wohl auch völlig absurd.“