Vom Leuchtturm zum Watschenmann

  • Matthias Wagner-Uhl
  • NETZWERK POLITIK

Vom Leuchtturm zum Watschenmann

Im Südwesten endet das Postulat von „bester Bildung“ jäh dort, wo der Datenschutz anfängt. Höchste Zeit, die gesetzlichen Grundlagen guter Schule ins Digital-Zeitalter zu überführen. Und sich statt einer Abbildung von Vergangenheit bei der digitalen Transformation unserer Schulen um deren Zukunftsfähigkeit zu bemühen.

International erfolgreiche Bildungsnationen meistern seit Jahren erfolgreich die digitale Transformation - und setzen dabei auf eine Schule des 21. Jahrhunderts. Wesentliche Zutaten sind die 4 K des Lernens, die in unserer komplizierten Welt von herausragender Bedeutung sind: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. Was junge Menschen als unerlässliches Rüstzeug für ihr Erwachsenenleben mitbekommen sollen, wird in vielfältigen Lernprozessen abgebildet – in herkömmlichen Unterrichtssituationen ebenso wie in digitalen Lernsettings.

Im Südwesten allerdings bestimmen andere Gesichtspunkte die Regeln: „Digitale Bildung ist das, was übrigbleibt, wenn der Datenschutz drüber ist“, formuliert ein baden-württembergischer Schulleiter und ausgewiesener Pionier digitaler Schule im Land frustriert. Dass er nicht genannt werden will, kann kaum überraschen: Auf dem Datenschutz-Parkett wird mit harten Bandagen gekämpft.

Mit brachialen Folgen: Nicht Pädagogik, der dauerstrapazierte Anspruch von Qualität in Schule und Unterricht oder gar schülerzentrierter Lernprozesse entscheiden zurzeit über die Digital-Weiterentwicklung unserer Schulen, sondern das Votum des Landesdatenschützers. Auf der Strecke bleiben das Vertrauen der Pädagog*innen in ihren Dienstherrn, die Motivation innovativer Lehrerkollegien sowie aufgeschlossener Schulgemeinschaften und nicht zuletzt das Nervenkostüm engagierter Schulleiter*innen, die schon länger Mangelware sind.

„Wir haben in zwei Jahren Pandemie einen riesigen Digitalisierungsschub an den Schulen erlebt – jetzt soll das Rad de facto wieder zurückgedreht werden, weil die Krise angeblich vorbei ist“, kritisiert Matthias Wagner-Uhl, Vorsitzender des Vereins für Gemeinschaftsschulen BW e.V., dass das Schulgesetz wichtige digitale Anwendungssituationen wie z. B. hybride Lernsettings oder kollaborative Schulentwicklungsprozesse nicht kennt.

Der Landesbeauftrage für den Datenschutz und seine Truppe stützen sich auf Gesetze, die gute Pädagogik und die Anforderungen schulischer Realitäten ausblenden. Von 4 K, neuen Arbeitswelten und den Skills des 21. Jahrhunderts ist erst recht keine Rede. Die Beurteilung heutiger Einsatz-Szenarien digitaler Lehr- und Lernmethoden greift auf Rechtsgrundlagen zurück, die Schulpraktiker*innen in Teilen für durchaus kühn halten.

Kühn ist vor allem auch die mangelnde Rechtsgüterabwägung beim Thema. „An den Schulen gilt nicht allein der Datenschutz - wir haben eine Notenbildungsverordnung, eine Schulpflicht in Präsenz und letztlich eine pädagogische Verantwortung gegenüber dem Kindeswohl, dies alles gilt auch in notwendigen, sinnvollen und lernwirksamen digitalen Settings“, betont Wagner-Uhl. Wo politisch gerne über Maß und Mitte argumentiert wird, schießt der Datenschutz in den Schulen deutlich über das Ziel hinaus.

Auf dem Kieker haben die Datenschützer insbesondere jene Bildungspioniere, die schon digital unterwegs waren lange bevor sich das Land durchgerungen hat, seinen digitalen Bauchladen überhaupt zu füllen. Ob Zufall oder nicht, in der Runde der 40 Schulen, die einen datenschutzrechtlichen Blauen Brief bekommen haben, finden sich gerade auch jene Schulen, deren Erfolge man sich in der Vergangenheit gerne gerühmt hat. „Egal ob Deutscher Schulpreis, Smart School oder digitale Schule – erst hat man den Erfolg gefeiert und sich mit den Schulen geschmückt, jetzt lässt man die Beteiligten über die Klinge springen - dabei steckt dort in guten Teilen das innovative Potenzial für die überfällige Weiterentwicklung der Schullandschaft im Südwesten“, gibt der leidenschaftliche Schulentwickler Wagner-Uhl zu bedenken.

Die nächsten Schritte sind für die Vorreiter digitaler Schulkultur klar: „Die gesetzliche Grundlage für zeitgemäßes Lernen und Lehren muss die Realitäten der digitalen Welt und auch die schnellen Innovationszyklen in der IT berücksichtigen.“ Bis das soweit ist, muss der Druck auf die Schulen aufhören, fordert Wagner-Uhl: „Wir brauchen ein Moratorium, bis die Rechtslage für digitale Schule im 21. Jahrhundert angekommen ist.“ Zudem müssen die digitalen Landesanwendungen dringend so aufgestellt werden, dass sie die tatsächlichen Bedarfe zukunftsausgerichteter Schulen vollständig abdecken. „Nur so gelingt beste Bildung in BW!“, sagt der Vereinsvorsitzende.

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